Sammlung Europa im Spätmittelalter gab der Kirchenausstattung ein neues Gesicht

Im 14. und 15. Jahrhundert wurden Stoffe für neu zu fertigende kirchliche Textilien meist in Europa hergestellt. Vor allem in Italien entstanden mehrfarbige, reich gemusterte und mit Goldfäden durchsetzte Seidengewebe. Einen Aufschwung erlebte auch die Stickerei, die Figuren und Szenen der christlichen Tradition meisterhaft darzustellen verstand. Das Thema ergänzend, finden sich in der Dauerausstellung der Abegg-Stiftung einige ausgewählte Beispiele geschnitzter und gemalter Sakralkunst.

Pluviale mit Wurzel Jesse

Der zu Prozessionen und Weihehandlungen angelegte Mantel zeigt alttestamentliche Propheten und Könige, die in eingerollten Weinranken stehen. Die eigentliche Wurzel dieses Stammbaumes Christi mit dem träumenden Jesaja (Jesse) war einst auf der Rückseite zu sehen. Solch prächtige Gewänder mit Gold- und malerisch modellierender Seidenstickerei waren eine Spezialität der englischen Seidenhefter, die Päpste und Kirchenfürsten mit ihren Erzeugnissen belieferten, darunter auch den Salzburger Erzbischof Konrad IV. von Fohnsdorf (1291–1312). | England, um 1290–1300, Gold- und Seidenstickerei auf Leinen, H. 137 cm, Inv. Nr. 231

Bestickte Brettchenborte

Bei dieser Borte wirken Brettchenweberei und Stickerei in der Gestaltung zusammen. Von oben nach unten erscheinen die Märtyrer Laurentius und Stephanus sowie die Heiligen der grossen mittelalterlichen Ordensgemeinschaften, darunter Petrus Martyr und Dominikus, Bernhard von Clairvaux und Franziskus von Assisi, die auch mit ihren Namen bezeichnet sind. Bemerkenswert ist die ordensübergreifende Darstellung dieser Heiligen, die zum Teil erst vor kurzem heiliggesprochen worden waren. Dies spricht für eine klösterliche Herstellung und möglicherweise für eine Propagierung ihrer Heiligenkulte. | Rheinland (?), Ende 13. bis Anfang 14. Jahrhundert, Brettchengewebe, bestickt, H. 90 cm, B. 15 cm, Inv. Nr. 5542

Dalmatik aus Stralsund

Unterschiedlicher Herkunft sind die kostbaren Gewebe, aus denen dieses liturgische Gewand eines Diakons gefertigt wurde. Den Hauptstoff bildet ein italienischer Lampas mit Hunden sowie dem christologischen Motiv des Pelikans, der seine Jungen nährt. An den Ärmeln erscheint eine spanische Seide mit einer höfischen Devise, für die seitlichen Zwickel wurde ein chinesisches bzw. persisches Gewebe verwandt. Das zugehörige Gewand eines Subdiakons befindet sich in Stralsund, das einen grossen mittelalterlichen Paramentenschatz bewahrt. | Stralsund, 15. Jahrhundert bzw. Italien, China oder Persien, Spanien, 13.–14. Jahrhundert, Gewebe aus Gold- und Seidenfäden, H. 120 cm, B. 142 cm, Inv. Nr. 152

Seidengewebe

Zwischen stilisierten Landschaftsmotiven springt ein geschupptes Fabelwesen mit spitzen Ohren und gespaltenem Schwanz. Während die versetzte Anordnung der Bäume mit herzförmigen Blättern an herkömmliche Spitzovalmuster denken lässt, gewinnt der Dekor durch die diagonale Anordnung eines Baches und der von einem Wolkenband ausgeworfenen Strahlen eine aufsteigende Dynamik. Die detailreiche Silhouette des Tieres erinnert an chinesische Vorbilder, die Landschaftsmotive scheinen der persischen Buchmalerei entlehnt. | Italien, 2. Viertel bis 2. Hälfte 14. Jahrhundert, Gewebe aus Gold- und Seidenfäden, H. 41 cm, B. 32 cm, Inv. Nr. 456

Thronende Madonna mit Kind

Mit leicht geneigtem Kopf blickt die Gottesmutter auf das auf ihrem Schoss sich räkelnde, unbekleidete Christuskind. In zärtlicher Verlobungsgestik hält ihre Rechte die seine. In subtiler Anspielung auf seinen späteren Opfertod greifen die Finger ihrer Linken zupackend in sein sinnlich nachgebendes Fleisch. Die auch Hans Multscher (1400–1467) zugeschriebene Skulptur verbindet den Farbkanon und die Eleganz der Kunst des Schönen Stils um 1400 mit einer reduzierten, aber nicht minder ergreifenden Formgebung. | Mittelrhein, um 1425/30, Nussbaum- und Nadelholz, gefasst, H. 67 cm, Inv. Nr. 11.44.75

Kaselkreuz mit Kreuzigung Christi

Der gestickte Besatz steht ganz in der Tradition von Kreuzigungsdarstellungen, die den Glaubensgrundsatz von der Wandlung von Brot und Wein zu Christi Leib und Blut thematisieren: Drei Engel fangen das Blut des Gekreuzigten in Kelchen auf; darunter erscheint der gute Hauptmann, der ihn als Gottessohn erkennt. Diese Motive entsprechen denn auch der Funktion des Gewandes als priesterlichem Kleidungsstück für die Messfeier. Die ausserordentlich feine Stickerei mit Gold-, Silber- und Seidenfäden besticht in ihren Lasureffekten und schliesst damit an die burgundische Stickerei des 15. Jahrhunderts an. | England, 3. Viertel 15. Jahrhundert, Stickerei in Gold- und Seidenfäden auf Leinen, H. 115, B. 61 cm, Inv. Nr. 5527

Triptychon mit der Kreuzigung Christi

Rogier van der Weyden, Werkstatt, 1440–1445
Die Kreuzigungsgruppe der Mitteltafel entstand unter Verwendung einzelner Motive aus früheren Werken Rogier van der Weydens. Durch die expressive Gestik der Personen wird die Darstellung des Geschehens hier ins Dramatische gesteigert. Die Gewänder zeigen reiche italienische Samtgewebe und feines niederländisches Leinen. Der Flügelaltar hing ehemals in der Dominikanerkirche von Chieri im Piemont. Auftraggeber war ein Mitglied der Bankiersfamilie de Villa; der Stifter ist auf dem linken Seitenflügel mit seinem Wappen dargestellt. | Öl auf Holz, H. 103,5 cm, Inv. Nr. 14.2.63

Samtgewebe mit grosser Ranke

Stilisierte Granatäpfel gehören zu den typischen Motiven italienischer Gewebemuster des Spätmittelalters. Während andere Samte jedoch häufig nur stilisierte Umrisse von Granatäpfeln zeigen, sind die Früchte hier plastisch erkennbar. Durch die stellenweise Überlagerung der Zweige und die in zarten Linien angedeutete Rundung der Früchte entsteht ein Eindruck räumlicher Tiefe. Italienische Samtgewebe mit Goldbroschierung waren kostbare Exportgüter und wurden in Gemälden südlich und nördlich der Alpen dargestellt. | Italien, Mitte 15. Jahrhundert, Seide, Metallfäden, H. 100 cm, Inv. Nr. 818